"Ich durf­te ei­gen­hän­dig Ma­te­ria­len und Far­ben für Schu­he aus­wäh­len und ha­be die Ent­wür­fe der De­si­gner mit Le­ben ge­füllt.“

Ein Auslandsaufenthalt war für mich von Anfang an ein Ziel

Als es für mich damals langsam auf das Abitur zuging und sich die anfängliche Unsicherheit bezüglich eines neuen Lebensabschnittes breitmachte, war mir schnell klar, dass ich mehr von der Welt sehen möchte. Deshalb entschied ich mich für den Studiengang International Business und die Wortmann KG als Partnerunternehmen, denn von beiden Seiten ist eine Praxisphase im Ausland obligatorisch.

Da ich also schon vor Beginn meines Studiums wusste, dass ich drei Monate bei der Wortmann-Tochtergesellschaft Novi in China verbringen werde, konnte ich das dritte Semester kaum noch abwarten. Nach Einreichen des Letter of Motivation und anderer notwendiger Dokumente wurde der Rest der Vorbereitung meines Aufenthalts von meinem Partnerunternehmen in Deutschland abgewickelt. Dank der optimalen Organisation in Form von Visumsbeantragung, Hotel- und Flugbuchung und der Erstellung meines Traineeplans konnte ich beruhigt und optimistisch meinem Abflug entgegenfiebern.
Da mein erster Flug von Hannover nach Frankfurt annulliert wurde, ging es für mich erst einen Tag später als geplant Richtung Reich der Mitte. Endlich dort angekommen, folgte zunächst erstmal die Ernüchterung: Kein Mensch weit und breit sprach Englisch, weder Taxifahrer noch Hotelpersonal. Und überhaupt war alles ganz anders, als man es von zuhause oder anderen westlichen Ländern kennt. Eine Reise nach China ist eben nicht vergleichbar mit einem Sommerurlaub nach Spanien oder Backpacking in Australien, es ist schlichtweg eine Reise in eine völlig fremde Kultur mit ungewohnter Lebensweise.

Und so werfen sich die ersten Fragen auf: Wo finde ich etwas zu essen und wie finde ich überhaupt heraus, welche Gerichte sich auf der Karte hinter den chinesischen Schriftzeichen verbergen? Wie finde ich den Weg zum nächsten Supermarkt, wenn niemand Englisch spricht und Navigationsdienste nicht zu benutzen sind? Tatsächlich ist das alles jedoch nur Gewöhnungssache und nach einiger Zeit findet man regelrecht Spaß daran, Neues zu entdecken und an Situationen, in denen man unsicher ist, zu wachsen.
Das Büro der Novi Footwear International Co. Ltd. liegt am Stadtrand von Dongguan in einem hochmodernen Businesspark und wurde erst Ende letzten Jahres eingeweiht. Im Vergleich zum alten Office bietet es den Vorteil, dass es näher an Workshops gelegen ist, in denen vor allem die Musterproduktion der Schuhe vonstattengeht. Diese Nähe zu Fabriken und Lieferanten ist besonders in der sprunghaften Modebranche von hoher Bedeutung, da Produktlebenszyklen kurz sind und die Entwicklung dementsprechend rasant voranschreitet.

Glücklicherweise hatte ich vor Ort die Möglichkeit, nicht nur fast jede Abteilung der Firma kennenzulernen, sondern auch ausgelagerte Prozesse begleiten zu dürfen. So wurde ich direkt in der ersten Woche zu verschiedensten Materiallieferanten mitgenommen, wo ich bei gemeinsamen Mittagessen neben dem Business auch die Kultur kennenlernte. Außerdem habe ich mit Kollegen die Workshops, aber auch Sohlen- und Leistenfabriken besucht, was mir dabei geholfen hat, einen besseren Überblick zum Thema „Schuhherstellung“ zu gewinnen.
… war zum einen der Materialmarkt in Guangzhou, der fast ganzjährlich geöffnet hat. Dort lagern über fünf mehrstöckige Gebäude alle Materialien, von Leder über Textilien bis hin zu Synthetik, die man sich nur vorstellen kann. Einige Etagen bestehen sogar einzig und allein aus Läden für Dekorationen, Absätze und Schnürsenkel. Es war für mich unglaublich inspirierend, die verschiedenen Muster, Farben und Formen zu sehen und sich diese dann auf unseren fertigen Schuhen vorzustellen. Eine andere besonders positive Erfahrung war die Zusammenarbeit mit den Produktmanagern aus Deutschland, die circa alle zwei Wochen nach China reisen, um vor Ort an der Kollektion für die nächste Saison zu arbeiten. Hier wurde mir die Möglichkeit geboten, Entwürfe der Designer mit Leben zu füllen, indem ich eigenhändig Materialen und Farben für Prototypen auswählen durfte.
Aber auch außerhalb der Arbeitszeiten war ich bestens versorgt, denn viele Kollegen haben mich schnell in ihre Freizeitaktivitäten einbezogen. So wurde ich zu Geburtstagen mitgenommen, zum Essen eingeladen oder bin sonntags mit dem einen oder anderen durch den Park geschlendert. Tatsächlich habe ich in China aber nicht nur Asiaten, sondern auch recht viele Spanier und Italiener kennengelernt, da die Wortmann-Tochtergesellschaft Novi sehr multinational geprägt ist. Obwohl Dongguan nicht gerade durch äußerliche Schönheit überzeugt, gibt es Ecken, an denen man gut die Abende verbringen kann – so zum Beispiel die Bar Street, wo sich westliche Restaurants und Pubs aneinanderreihen. An ruhigeren Tagen habe ich mir gern ein wenig Alltag ins Leben zurückgeholt, indem ich, so wie ich es in Deutschland auch tue, ein Fitnessstudio besucht habe.
Nach meinen ersten drei Wochen in China ging es für mich auch schon ins nächste Land: Kambodscha! Dort habe ich in knapp zweieinhalb Wochen mehrere unserer Fabriken kennengelernt und sogar mein eigenes Paar Schuhe hergestellt – was zunächst einfacher aussah, als es letztendlich war. Mein Hotel dort lag im Zentrum der Hauptstadt Phnom Penh, sodass ich jeden Morgen von einem Fahrer in die Fabrik außerhalb der Stadt gebracht wurde. Nach der durchaus nicht zu unterschätzenden Handwerksarbeit habe ich meistens die Sonne genossen oder Sport getrieben. Auch in Kambodscha habe ich auf Anhieb super nette Leute kennengelernt, die meine kleine Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben.

Ein Wochenende konnte ich nutzen, um mit dem Nachtbus nach Siem Reap zu fahren. Dort habe ich mich in ein Hostel eingemietet und beim Sonnenaufgang die Tempel rund um Angkor Wat, das Nationalsymbol Kambodschas, besucht. Für einen Moment habe ich mich in die Backpacking-Zeit nach dem Abitur zurückversetzt gefühlt und habe gemerkt: In dieses Land habe ich mich definitiv verliebt!
Neben all dem Enthusiasmus und den positiven Momenten kam auch ich leider nicht um negative Erfahrungen herum. Kurz vor Kambodscha beispielsweise der erste Dämpfer: eine Lebensmittelvergiftung – und zwar meine allererste. Dementsprechend wusste ich zunächst nicht wirklich damit umzugehen und bin zur Arbeit gegangen, denn auf keinen Fall wollte ich irgendetwas verpassen. Wer jedoch schon einmal etwas Ähnliches hatte, weiß: So leicht wird es einem nicht gemacht. Also habe ich den Nachmittag beim Arzt und die nächsten zwei Tage platt im Bett verbracht. Glücklicherweise war ich geradeso pünktlich zu meiner Abreise nach Phnom Penh dann wieder fit.

Eine weitere, in manchen Momenten unangenehme Erfahrung, waren Kontaktversuche von Männern. So blöd es auch klingen mag, viele Asiaten haben noch nie einen Europäer gesehen und sind sehr daran interessiert, vor allem mit Frauen ins Gespräch zu kommen. Auch wenn viele dabei recht hartnäckig sind, möchte ich betonen, dass ich mich zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt habe und Hilfe gebraucht hätte, um einer Situation zu entfliehen.
Die Kosten für Visum, Flug und Hotel wurden in meinem Fall von der Wortmann KG übernommen. Frühstück gab es im Hotel und zum Mittag konnte man sich in der Firma jeden Tag etwas beim Italiener oder Inder bestellen, sodass ich mich lediglich abends selbst verpflegen musste. Außerdem habe ich wie gewohnt mein Gehalt bekommen und wurde in Form einer einmaligen Zahlung von 600 Euro (1×400, 1×200 Euro) von PROMOS unterstützt. Darüber habe ich mich sehr gefreut und kann jedem, der seinen Auslandsaufenthalt in China verbringen will, empfehlen, sich für PROMOS zu bewerben. Gerade Lebensmittel und herkömmliche Kleidung sind in China nämlich teilweise teurer als in Deutschland. Besonders für europäisches Essen muss man oft tiefer in die Tasche greifen.
Die Erinnerungen an China sind noch besser als die Vorfreude

Gespannt und optimistisch hatte ich dem Auslandsaufenthalt in China entgegengeblickt und konnte mir kaum vorstellen, dass es noch besser werden würde als erhofft. Trotz einiger schwieriger Momente möchte ich diese Erfahrung nicht missen und würde mich jederzeit wieder dafür entscheiden. Ich hatte die Möglichkeit, sowohl beruflich als auch persönlich unglaubliche Eindrücke zu sammeln und öfter als je zuvor über mich hinauszuwachsen.

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